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Opfermitverantwortung beim Versicherungsbetrug

Der Artikel wurde von Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann in Zusammenarbeit mit Dr. iur. Marco Weiss verfasst und 2018 in der Fachzeitschrift «Anwaltsrevue» veröffentlicht. Der Artikel behandelt den Leitentscheid des Bundesgerichts bezüglich der Opfermitverantwortung von Versicherungsgesellschaften bei Bagatellschäden. Es gilt zu beachten, dass die Abfassung einer falschen Schadensanzeige zur betrügerischen Erlangung von Versicherungsleistungen grundsätzlich immer als arglistig im Sinne von Art. 146 Abs. 1 StGB anzusehen ist und eine Opfermitverantwortung somit in der Regel ausgeschlossen wird. Für die Erfüllung des Tatbestands ist eine Täuschung über Tatsachen notwendig, die durch ausdrückliche oder konkludente Erklärungen oder das Unterlassen von Aufklärung geschehen kann. Arglist ist gegeben, wenn der Täter ein Lügengebäude errichtet oder besondere Machenschaften anwendet. Arglist liegt jedoch nicht vor, wenn das Opfer mit einem Mindestmass an Sorgfalt selbst hätte Schutz suchen können. Die Opfermitverantwortung wird individuell bewertet aber nicht oft anerkannt. In einem Entscheid des Bundesgerichtes mussten sich die Lausanner Richter mit der Tragweite der genannten Mitverantwortung befassen. In diesem Fall kaufte der Beschwerdeführer einen beschädigten Wohnanhänger und schloss später eine Vollkaskoversicherung ab. Er meldete einen Hagelschaden, der jedoch schon beim Kauf des Wohnanhängers bestand, was der Beschwerdeführer wusste. Die Versicherung bezweifelte die Angaben des Beschwerdeführers und zog daraufhin seine Schadensanzeige zurück. Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich wegen versuchten Betrugs verurteilt. Das Bundesgericht bestätigte die Verurteilung, wobei es die wahrheitswidrige Schadensanzeige als Täuschungshandlung qualifizierte und das erforderliche Tatbestandsmerkmal der Arglist bejahte. Das Gericht entschied auch, dass die Arglist des Beschwerdeführers nicht durch die Eigenverantwortung der Versicherungsgesellschaft aufgehoben wurde, da die Bestandsaufnahme vor dem Abschluss der Vollkaskoversicherung nicht durchgeführt werden konnte. In Bezug auf Versicherungsbetrug spielt die Opfermitverantwortung in der Praxis keine wichtige Rolle mehr, wenn der Beschuldigte vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat, um einen Vermögensvorteil zu erlangen. Das Bundesgericht hat mit seinem Entscheid die Verteidigungsstrategie der Opfermitverantwortung fast vollständig eliminiert, was jedoch zu begrüssen ist, da es nicht im Interesse des Gesetzgebers ist, überführte Betrüger freizusprechen. Es ist wichtig, die Interessen der Opfer, wie z. B. Versicherungsunternehmen, zu schützen und ihnen nicht zuzumuten, jede zu versichernde Sache ex ante detailliert zu prüfen. Eine andere Entscheidung des Bundesgerichts wäre einer Legalisierung des Versicherungsbetrugs gleichgekommen.

Zum Autor: Fabian Teichmann ist Rechtsanwalt, öffentlicher Notar, Unternehmensberater, Autor sowie Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten.

Mehr zu diesem Thema finden Sie in Teichmann, F. & Weiss M. (2018). Opfermitverantwortung beim Versicherungsbetrug. Anwaltsrevue, 11/12, 513-517.