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Rechtshilfe bei instrumentalisierten oder durch Korruption beeinflussten Strafverfahren

Prinzipien der schweizerischen Rechtshilfe auf dem Prüfstrand

Der folgende Artikel wurde von RA Dr. iur. Dr. rer. pol. Fabian Teichmann, LL.M. und RAin PD Dr. iur. Madeleine Camprubi verfasst und im Jahr 2022 von der Fachzeitschrift «Zeitschrift für internationale Strafrechtswissenschaft» publiziert. Der Artikel stützt sich auf die Gegebenheit, dass das schweizerische Rechtshilferecht in ausländischen Ersuchen, welche auf instrumentalisierte oder durch Korruption beeinflusste Strafverfahren zurückgehen, keinen Ausschlussgrund vorsieht. Rechthilferechtliche Regelungen seien auf einwandfreie ausländische Strafprozesse zugeschnitten. Die Autoren gehen der Frage nach, wie eine Instrumentalisierung des Schweizer Rechthilferechts in der Praxis verhindert werden kann.

Dabei stellen sie fest, dass selbst innerhalb des Europarates keine einheitlichen Standards in der unabhängigen und unparteilichen Ausgestaltung der Justiz bestehen. Insbesondere für osteuropäische Staaten bestehe Verbesserungspotenzial. Aufgrund dieser Umstände sind jene Jurisdiktionen besonders anfällig für Strafverfahren gegen unliebsame Gegner. Ein Praxisfall, welcher die Schweiz unmittelbar betrifft, bildet die Angelegenheit Yukos/Chodorkowski.

Rechtshilfebegehren, welche sich auf ein instrumentalisiertes Strafverfahren stützen, können in der Schweiz trotz des Fehlens eines Ausschlussgrundes abgelehnt werden. Dabei stützen sich die Behörden auf das internationale und schweizerische ordre public. Weiter unterstehen nur Straftaten der Rechtshilfe i.S.d. EUeR, die «nach gemeinem Recht» strafbar sind. Straftatbestände, welche nicht der Rechtshilfe zugänglich sind, werden vom schweizerischen Gesetzgeber genannt. Die schweizerischen Behörden können auch den Ausschlussgrund der Diskriminierung oder einen Verstoss gegen Verfahrensgarantien i.S.d. EMRK und UNO-Pakt II geltend machen. Im Sonderfall Yukow/Chodorkowski hat sich das Bundesgericht beispielsweise auf die Diskriminierung i.S.v. Art. 2 lit. b und lit. c IRSG gestützt. Aufgrund des Informationsbedürfnisses hinsichtlich der Überprüfung zahlreicher Rechtshilfevoraussetzungen ist der ersuchende Staat im Hinblick auf einen Rechtshilfeantrag zur kurzen Darstellung des wesentlichen Sachverhaltes verpflichtet. Die schweizerischen Behörden können folglich Mängel bei der Sachverhaltsdarstellung geltend machen. Diese Argumentationsstrategie wurde im Fall Yukow/Chodorkowski ebenfalls vom Bundesgericht verfolgt. Die Autoren erläutern, dass eine mangelhafte Sachverhaltsdarstellung insbesondere dann vorläge, wenn in Folge von fingierten Verdachtsmomenten ein Strafverfahren eröffnet worden wäre. Die Erbauung einer stichfesten Täuschungskulisse könnte jedoch die schweizerischen Behörden täuschen. Ausserdem müssen die Behörden beim ersuchenden Staat nach ergänzenden Informationen nachfragen, wenn der Sachverhalt ungenügend dargestellt wurde. Ein Ausschluss vermag vorliegend in eine Verzögerungstaktik zu resultieren. Somit stellen die Autoren fest, dass verschiedene Säulen des schweizerischen Rechtshilferechts die Vermeidung der Unterstützung ausländischer Strafverfahren, welche nicht dem legitimen Zweck der Verfolgung strafbarer Handlungen dienen oder ohne genügenden Tatverdacht geführt werden, zu verhindern versuchen. Als problematisch wird jedoch der Umstand der fehlenden rechtlichen Instrumente und praktischen Ressourcen hinsichtlich der Aufklärung des Sachverhaltes festgestellt. Die Schweiz verfolgt nämlich ein striktes Trennungsprinzip, nach dem sie darauf vertraut, dass das ausländische Strafverfahren rechtmässig sei (sog. rechtshilferechtliches Vertrauensprinzip). Die Verwehrung der Rechtshilfe gemeiner Straftatbestände ist aufgrund des nationalen Rechts nur aufgrund offensichtlicher Mängel möglich, nämlich wenn gegen die EMRK oder den UNO-Pakt II verstossen wird, bei diskriminierenden Strafverfahren oder wenn sonstige schwere Mängel vorliegen. Die Schweiz verfügt deshalb nur über eine eingeschränkte Prüfungskognition. Für die oben genannte Sachverhaltsdarstellung gilt aufgrund des strikten Trennungsmodells kein strenger Massstab. Aus diesem Grund stellt sich für die Autoren die Frage nach dem Sinn und Zweck der Sachverhaltsdarstellung. Die anwendbaren Voraussetzungen der Rechtshilfe sind nach dem Günstigkeitsprinzip zu ermitteln. Bei Lücken im IRSG und in den entsprechenden Staatsverträgen muss auf das VwVG zurückgegriffen werden. Wurde ein Rechtshilfebegehren bereits eingereicht und wurde dieses ultima ratio abgelehnt, so kann die ersuchende Partei kein erneutes Rechthilfebegehren aufgrund der identischen Grundlage einreichen. Jedoch genügen bei heilbaren Mängeln geringe Anpassungen für die Zulässigkeit eines neuen Rechtshilfebegehrens. Davon profitieren wiederum die ersuchenden Staaten, welche Strafverfahren zu zweckwidrigen Zielen durchführen. Auch die Beteiligungsrechte am Verfahren sind sowohl aufgrund des administrativen Charakters der Rechtshilfe als auch aufgrund des Trennungsprinzips weniger weitgehend als bei innerstaatlichen Strafverfahren. Da die Eintretens- und Ausführungsverfügungen bereits erlassen wurden, bevor die Betroffenen zur Mitwirkung im Rechthilfeverfahren befugt sind, gestaltet sich die Abwehr missbräuchlicher Gesuche als schwieriges Unterfangen. Betroffene müssten die bereits erlassene Verfügung bekämpfen. Der Sachverhalt, der vom ersuchenden Staat geltend gemacht wird, muss grundsätzlich angezweifelt werden und offensichtliche Mängel müssen aufgezeigt werden. Dies erfordert regelmässig einen besonderen Einsatz des Betroffenen. Bei der Abklärung des Sachverhaltes in Bezug auf Elemente, die eine Rechtshilfe nicht zulassen würden, sind die Behörden hinsichtlich allen Sachverhaltselementen ausserhalb der Rechtshilfeunterlagen auf die Mitwirkung von Personen und auf die Einsicht in allgemein zugängliche Quellen angewiesen.

Die Autoren stellen abschliessend fest, dass die Kooperation im instrumentalisierten Verfahren zwar verpönt sei, jedoch unter den geltenden Regelungen und in der Praxis ungenügend gefiltert werden. Geschuldet seien diese Umstände dem Vertrauensprinzip, welches die Schweiz strikt umsetzt. Dabei wird das Rechtshilfeverfahren als Verwaltungsverfahren betrachtet und vom ausländischen Strafverfahren klar abgegrenzt. Die Mitwirkungsmöglichkeiten betroffener Personen werden erst zu einem sehr späten Verfahrenszeitpunkt gewährleistet. Die Möglichkeiten zur Aufdeckungen von missbräuchlichen Rechtshilfebegehren sind sehr beschränkt und nur erschwert wahrnehmbar. Es bestehe ein ernstzunehmendes Risiko, dass nicht alle missbräuchlichen Rechtshilfebegehren (rechtszeitig) aufgedeckt werden. Diese Problematik muss bei den Rechthilfebehörden präsenter behandelt werden. Der Autor plädiert dafür, dass die Ausschlussgründe umfangreicher geprüft werden und trotz des Vertrauensprinzips weitere Massnahmen zur Sachverhaltsfeststellung unternommen werden müssen. Der Widerruf erlassener Verfügungen sollte von den Rechtshilfebehörden vermehrt berücksichtigt werden. Eine Klarstellung und Ausweitung der Ermittlungskompetenz der Rechtshilfebehörden sowie eine Verstärkung der Mitwirkungsrechte der Betroffenen wäre wünschenswert. Ebenfalls sei der Gesetzgeber gefordert, einen auf korrupte Strafverfahren zugeschnittenen Ausschlussgrund zu statuieren.